Heutzutage
gibt es kaum eine "Kleiderordnung" mehr unter den verschiedenen
Gruppierungen unserer Zeit. Emos sehen manchmal aus wie Gothics, Frauen können
wie Männer aussehen, Kinder wie Erwachsene, Ökos wie Hippies oder sogar
Spießer, Industrials sehen schier aus wie Avatar Darsteller, normale Menschen
werden als Metros bezeichnet oder als Nazis abgestempelt, wenn bei den Herren
die schwarze Jeans zu eng sitzt. Ich erkannte zwei
rechtsdenkende Menschen nur an ihrem Gespräch. Hier ein Versuch des
Nacherzählens dieser Begegnung - mit Fusznoten [1].
Ich fahre
mit der letzten Verbindung der Bahn von Berlin zurück nach Bochum [2]. Es ist
ein leiser und schneller ICE, der voll besetzt durch die Nacht zischt. Wieder
mal sitze ich rückwärts, weil mein Glück es mir immer beschert. Warum
reserviere ich überhaupt noch einen Platz bei den neuen Preisen? Ach ja, weil
man sonst vielleicht auf dem Boden sitzen darf. In meiner Nähe sitzt ein frisch
verliebtes Paar [3]. Ich sehe von ihm nur den Arm. Hören kann ich, dass sie
säuseln, was das Zeug hält. Süß, oder?
Als der
Zugbegleiter erscheint stellt sich heraus, dass die beiden (nennen wir sie Max
und Leni) keine Fahrkarte haben, weil sie spontan fahren mussten. Ohne mit der
Wimper zu zucken zahlen sie beide zusammen 240Euro für eine Fahrt bis Dortmund.
Sie sehen nicht danach aus, als ob sie reich wären, aber muss ja jeder selber
wissen. Am Berliner Hbf hätten die Tickets immerhin 60Euro weniger gekostet
[4].
Etwa eine
Stunde vor Hamm Westfalen wird es schlagartig leerer. Neben mir wird der Vierer
komplett frei und das Pärchen wechselt ihren Sitzplatz. Ich bin hundemüde und
schließe die Augen. Auch, weil ich keine Lust habe, das noch so süße Paar beim
kuscheln zu zu gucken. Max der für mich typische Punk mit Springerstiefeln,
Leni eher die schüchterne und schokoladenliebende Hausfrau in lila [5].
Angenehme Stimmen haben sie. Das fand der Hund meiner Sitznachbarin wohl nicht,
der knurrte ab diesem Zeitpunkt in regelmäßigen Abständen [6]. Sie kuscheln
sich ineinander und er spricht davon, wie sehr er glaubt, dass die beiden eine
Zukunft haben, weil sie national gesehen die gleichen Ansichten teilen. Ich
glaube, dass ich mich verhört habe, werde wacher. Ich nehme meine Sonnenbrille
vom Kopf um mich beim weiteren Versuch, einzuschlafen, vor dem grellen LED
Licht zu schützen [7].
Er strahlt
sie an, sie strahlt zurück. Kontrapunktistisch spricht Leni davon, wie sie vom
Exmann misshandelt wurde und ihre Familie ihr nicht geglaubt hat. Die Familie
hat ihr sowieso eine verkorkste Kindheit bereitet. Auch tauschen sie
Geburtsdaten aus. Max findet es total toll, dass er fast 100 Jahre nach Hitler
geboren wurde, Leni meint sie passen total gut zusammen, weil sie am 8.8.
Geburtstag hat [8]. Dann sprechen sie davon, dass ihr Vater vermutlich nichts
von Max halten wird [9], weil er sie schon am Telefon als Nazihure beschimpft
hat. Max lacht und sagt, dass ihm das immer [10] passiert.
Plötzlich
sprechen sie von Kindererziehung. Und, wie die Nationalsozialisten
Familienpolitik sehr gut praktiziert haben. Seine Kinder sollen ohne Internet
und Fernsehen aufwachsen. Zum Spielen sollen sie in den Wald gehen. Als
perfektes Beispiel redet er von einer Familie von Gleichgesinnten, deren Kinder
einmal am Tag Nachrichten schauen dürfen und dann mit den Eltern darüber reden
müssen. Genial findet er, dass die Kinder selbst entscheiden dürfen, wen sie
verehren und findet es amüsant, dass die Kinder die Eltern überzeugen wollen,
dass man den Führer [11] allein verherrlichen muss. Die Eltern würden Heß [12]
bevorzugen. Max findet, dass es so total eigenständig ist, wie diese Kinder
denken dürfen. Er würde sich das für seine Eigenen auch wünschen. Leni bejaht
alles und ihr strahlen lässt nicht nach. Auch ist Panzerlehre,
Überlebenstraining im Wald, Sterne lesen und Waffenlehre im weiteren Verlauf
des Gespräches in Zukunft total wichtig für besagte Kinder. [13]
Für die
Politik einigen sie sich, dass es einen neuen Führer geben sollte, weil
Autokratie [14] das einzig Richtige ist. Menschen brauchen Regeln und das ohne
Diskussion. Überhaupt habe die heutige Rechtsbewegung ein cooles Gesamtkonzept
[15]. An diesem Punkt bekennen sich beide auch zur NPD [16], obgleich ein
rechter Klan [17] letztes Jahr versucht hat, sie abzuwerben. Jetzt wird mir
klar, dass in Berlin wohl eine NPD Demonstration war.Eine kurze
Gesprächspause füllt er mit einem Lied für Adolf. Ich glaub der BDM [18] hätte
das nicht besser singen können. Die Melodie ist gar nicht so schlecht – fast
ein Ohrwurm [19]. Der Text dreht mir den Magen um [20] und ich sehe mich nicht
in der Lage, diesen hier nieder zu schreiben. Musikuntermalt schaue ich mich
um. Alle sind seitdem das Paar laut redet still geworden und schauen so weit
weg wie möglich.
In Dortmund
erwacht der ICE innen wieder zum Leben. Max und Leni haben das Feld geräumt.
Als ich in Bochum aussteige ist es weit nach Mitternacht und die leere Stadt
ist in einem orangenen Nebel getaucht. Ein Freund hätte in diesem Moment zu mir
gesagt, dass so schon Horrorfilme angefangen haben.
[1] Da ich
kürzlich die „Fusznote“ entdeckt habe, musste ich ihre Schreibweise nutzen, um
von Ihnen zu erzählen. Mehr über das gelungene Literaturkritikprojekt an der
Ruhr Universität unter fusznote.de. Des Weiteren möchte ich Fußnotensetzer
sagen, dass ich diese eigentlich in hochgestellten Zahlen darstellen wollte,
dies aber aus irgendeinem Grund von diesem Tippfenster im Browser nicht
angenommen wird. Ich bitte um formale Entschuldigung.
[2] Tagsüber
hatten wir schon Berlin Mitte vermieden, weil da wohl irgendeine Demo war. Ich
glaub der Grund war ein Rechter.
[3] Sollte
besagtes Paar sich wieder erkennen: Bitte nehmt es nicht persönlich.
[4] Aber
vielleicht kommt da bei mir auch nur das Schwäbische und Unspontane durch...
[5] Farben
haben Bedeutungen, oder?
[6] Sie
heißt Nora und kuschelt sich immer an meinen Fuß. Wenn ich so darüber
nachdenke, find ich das mittlerweile süßer als das Paar.
[7]
Faszinierenderweise ist es wirklich so grell, wie wenn ein neuer BMW bei Nacht
auf einen zufahren würde. Und es hilft natürlich, dass die Sonnenbrille
verspiegelt ist und ich ungestört das Gespräch mit passenden Gesten mit zu
verfolgen.
[8] Adolf
Hitler lebte von 1889-1945. Der achte Buchstabe im Alphabet ist H. 88 war der
Code für HH = Heil Hitler – Der nationalsozialistische Gruß zu Zeiten des
Führers.
[9] In
zerrissenen und Camouflage Klamotten würde ich vermutlich auch erstmal
skeptisch sein. Die Neonschnürsenkel in grün und pink in den polierten
Springerstiefeln helfen dabei einfach auch nicht.
[10] IMMER?
[11] Adolf
Hitler
[12] Rudolph
Heß war vor 1933 Hitlers Privatsekretär, stieg nach 1933 zum Minister und
letztendlich zum Stellvertreter von Hitler auf. Er ist quasi der Inbegriff für
die bedingungslose Verehrung des Führers.
[13] Und ich
sitze hier und rate, dass ihr euch gerade erst kennen gelernt habt. Also wird
direkt Nägel mit Köpfen gemacht? Ich bin schon sprachlos. Ihr sprecht weitaus detaillierter
als hier beschrieben und legt schon die gesamte Zukunft eurer möglichen Kinder
fest. Was wäre denn, wenn einer eurer Kinder Marx verehren möchte? Oder zum
Judentum konvertieren möchte? Oder komplett Linkspolitisch irgendwann handelt?
Oder euch nur bei der Wahl des Gemüses widerspricht?
[14]
Autokratie bezeichnet Regierungsformen, bei denen alle Staatsgewalt
unkontrolliert in den Händen eines Herrschers (= Autokraten) liegt und von
diesem selbstherrlich ausgeübt wird. Quelle: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das
Politiklexikon. 4. aktualisierte Auflage Bonn: Dietz 2006.
[15/16] Das
Parteiprogramm dieser Partei hat drei Stichworte: Arbeit, Famile und Vaterland.
Sie stellt sich als Volkspartei da und auch bei längerer Lektüre finde ich es
immer schwieriger, das alles in eine Fußnote unterzubringen. Ich halte für mich
fest: Egal was da drin steht, es ist ein Programm wie jedes andere: Es hat gute
Punkte, es hat schlechte Punkte. Leider aber finde ich mehr Punkte, die für
mehr Menschen schlecht ausgelegt werden können. Aber auch verstehe ich nun ein
bisschen besser, dass viele lediglich den Aspekt Familie („Die kleinste
Gemeinschaft innerhalb unseres Volkes ist die Familie. Auf ihr fußen Volk und
Staat, weshalb der Familie auch die besondere Zuwendung und Fürsorge des
Staates zuteil werden muss.“) ansehen und sich deshalb mit dieser Partei
identifizieren könnten. Auch Schlagwörter wie „Geborgenheit“ findet sich
schnell: „Nationale Sozialpolitik verbindet soziale Gerechtigkeit und
wirtschaftliche Vernunft. Sie muss die Geborgenheit des Einzelnen in der
Gemeinschaft sichern und den Einsatz des Einzelnen für das Ganze befördern.“.
Auch die Aufrüstung des Landes und lediglich deutschgesinntes Handeln auch in
der Außenpolitik wird angepriesen.
Überwiegend erschrocken hat mich folgender „Grundgedanke“ auf genannter Parteihomepage, welcher sich so liest: „Im 21. Jahrhundert entscheidet sich Sein oder Nichtsein des deutschen Volkes. Existentielle Bedrohungen gehen vom Geburtenrückgang, einer rasch voranschreitenden Überfremdung, der Fremdbestimmung durch übernationale Institutionen und der Globalisierung mit ihren verheerenden Folgen aus.“. Plakativ ist auch ihre Propaganda. Des Weiteren ließ mich „Deutschland den Deutschen“ aufhorchen mit: „Gegen den Willen des deutschen Volkes wurden von Großkapital, Regierung und Gewerkschaften Millionen von Ausländern nach Deutschland eingeschleust. Durch massenhafte Einbürgerungen wird das deutsche Staatsbürgerrecht aufgeweicht und das Existenzrecht des deutschen Volkes in Frage gestellt.“. Denken denn manche Menschen wirklich, dass durch das Einladen von Ausländern die Existenz von unserem Volk in Frage gestellt wird? Ich kann ihnen nicht komplett folgen. Es gibt doch auch genug Deutsche, die gerne in ein anderes Land gehen. Und sind wir nicht auch einfach nur ein Baustein von der gesamten Welt? So, wie die Familie die kleinste Gruppe eines Volkes ist, so ist das Volk eine Gruppe der Gesamtbevölkerung der Erde? Oder ist das globale Denken an sich da unangebracht?
- Hier komme ich an den Punkt, wo ich das gesamte Programm nicht mehr weiterlesen möchte. Für jemanden, der wirklich mehr wissen will, sollte die offizelle Homepage der NPD besuchen.
Überwiegend erschrocken hat mich folgender „Grundgedanke“ auf genannter Parteihomepage, welcher sich so liest: „Im 21. Jahrhundert entscheidet sich Sein oder Nichtsein des deutschen Volkes. Existentielle Bedrohungen gehen vom Geburtenrückgang, einer rasch voranschreitenden Überfremdung, der Fremdbestimmung durch übernationale Institutionen und der Globalisierung mit ihren verheerenden Folgen aus.“. Plakativ ist auch ihre Propaganda. Des Weiteren ließ mich „Deutschland den Deutschen“ aufhorchen mit: „Gegen den Willen des deutschen Volkes wurden von Großkapital, Regierung und Gewerkschaften Millionen von Ausländern nach Deutschland eingeschleust. Durch massenhafte Einbürgerungen wird das deutsche Staatsbürgerrecht aufgeweicht und das Existenzrecht des deutschen Volkes in Frage gestellt.“. Denken denn manche Menschen wirklich, dass durch das Einladen von Ausländern die Existenz von unserem Volk in Frage gestellt wird? Ich kann ihnen nicht komplett folgen. Es gibt doch auch genug Deutsche, die gerne in ein anderes Land gehen. Und sind wir nicht auch einfach nur ein Baustein von der gesamten Welt? So, wie die Familie die kleinste Gruppe eines Volkes ist, so ist das Volk eine Gruppe der Gesamtbevölkerung der Erde? Oder ist das globale Denken an sich da unangebracht?
- Hier komme ich an den Punkt, wo ich das gesamte Programm nicht mehr weiterlesen möchte. Für jemanden, der wirklich mehr wissen will, sollte die offizelle Homepage der NPD besuchen.
[17] Sie hat
im Gespräch auch die Homepage von diesem rechten Klan genannt. Leider habe ich
diese URL nicht verifizieren können.
[18] Bund
deutscher Mädel war zu Hitlerzeit das weibliche Pendant zu der Hitlerjugend
(HJ).
[19] Einen
Ohrwurm ist typisch für Hymnen. Darunter kann man auch Fußballgesänge setzen,
die auf bekannte Ohrwürmer neuen Text legen. Es ist wissenschaftlich bekannt,
dass gesungener Text schneller verinnerlicht wird und nur durch die Melodie in
Erinnerung gerufen werden kann. Oft wurde dies schon als Propagandawerkzeug
genutzt. Vermutlich auch hier.
[20] Der
Text verherrlichte Nazigrößen und war eine Art Aufruf zum Kampf.
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