Tuesday, April 30, 2013

Das Dilemma der Pflichtlektuere (www.pflichtlektuere.com)

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Oktober 1990 startete das medienpraktische Projekt „InDOpendent“ für eine praxisnahe Ausbildung der Dortmunder Journalistik-studenten. Jahrzehntelang hielt sich diese uniunabhängige Campuszeitung und wurde zum Insidertipp selbst über die eigenen Campusgrenzen hinaus. Schon im Gymnasium an der Grenze zu Dortmund hörte ich über viele Ecken von diesem journalistischen Werk und las sie mit Begeisterung, wenn sie mir zufällig in Dortmund in die Hände fiel. Damals habe ich noch nicht realisiert, dass dies ein Großprojekt war, welches seinesgleichen noch zu finden hatte. 

In meiner Bachelorzeit an der Ruhr Universität Bochum las ich im Oktober 2008 einige Aushänge an den Aufzügen im medizinischen Gebäude. Unter anderem gab es einen Zettel, der freiwillige Mitarbeiter für eine neue Studieirerendenzeitung (inklusive dieses Tippfehlers) schreiben möchten. Als Kontakt fand ich keine Uniadresse vor, also verband ich dies nicht mit irgendeiner Hochschule. Nichtsdestotrotz ließ mich meine Neugier nicht los und ich sehnte mich nach dem kreativen Schreiben an sich – schließlich hatte ich aufgrund von Personalmangel auch die „Clara News“ mit wenigen Mittel gestemmt. Wie meine Natur so ist, fiel ich direkt mit der Tür ins Haus und schlug vor, dass ich eine Kolumne über den RUB Campus und mein dortiges Dasein für die Studieirendenzeitung schreiben könnte. 

Fünf Tage später hatte ich die Antwort: Die Leiterin Lehrredaktion Print des Instituts für Journalistik schrieb, dass sie sich über eine von mir angebotene Leseprobe freuen würde und dies auch in den Bochumer Teil der neuen Zeitung einen Platz finden könnte. Ich musste schlucken. Ein so unscheinbarer Zettel war also wirklich ein „Hand und Fuß Projekt“, bei der ich sogar was erlernen könnte!? Grandios! Sofort machte ich mich ans Werk. Selbst nach 10 Stunden Labor war es ein Leichtes, kreativ zu schreiben. Es war meine ultimative Kompensation zu der trockenen Fachsprache. Und ich glaubte es kaum, ab der zweiten Ausgabe 2008 war meine Kolumne im Print, später online. Auf dem Bochumer Campus wollte der damalige Asta Zensurrechte erwirken und etliche Auflagen sind leider nicht einmal bis zum Studierenden gelangt. Durch die schnelle Initiative der Leiterin wurde sicherheitshalber direkt an der U35 Haltestelle eine Verteilung organisiert. 

Warum ich nach Kolumne 26 die Reißleine gezogen habe? 

Nun ja, das Wort Dilemma steht ja schon im Titel. Abgesehen vom nötigen Relaunchprozess, damit die Anzeigenredaktion der WAZ „ihr Stiefkind abnabeln kann“, gab es spätestens ein halbes Jahr nach Abschied der Leiterin der ersten Stunde einige Ungereimtheiten. Es wurde fortschrittlich noch multimedialer gedacht. Crossmedial. Alle Campusmedien sollten von allen Journalismus Studierenden kennen gelernt werden, was in einen immensen Organisationsakt resultiert ist. Leider bleibt dabei die Qualität des eigentlichen Textproduktes auf der Strecke. Redigaturen und Themenauswahlen hinken hinterher, weil die crossmediale Perfektion verdammt viel Zeit frisst. 

Ein unfairer Vergleich ist der Naheliegende: „Die inDOpendent war beliebter und viel besser“. 

Warum war sie besser? Sie war etwas komplett Neues, etwas Spannendes und noch nie da gewesenes. Vor allem waren die Texte bestens recherchiert, runtergetippt und redigiert. Heutzutage sind der mediale Input sowie der Campusinformationsfluss so groß geworden, dass Recherchen nur noch halbwegs in die Tiefe kommen und selbst wenn ein Text zeitnah entstanden ist, so erscheint er online manchmal zeitverzögert. Je nachdem, wer wann eben Zeit zur Redigatur gefunden hat. 

Ich vermisse das schlagfertige lokale und studentische an sich. Es war einzigartig und wundervoll, hat hatte noch Leidenschaft und Herz. Eine Reportage über die damals immer verspätete und orangefarbene S1 hatte noch Herz. Und der mir bekannte „Pottstudierende“ braucht Herz. Die Sonderausgabe „Fankultur“ hat den Pottnerv meiner Meinung nach getroffen. Selbst wenn dort noch vier Seiten Werbung implementiert gewesen wären. Hoffentlich fällt dieser Standard bei der nächsten Rotation der Studierenden nicht wieder. Angelernte Schreiberlinge rutschen verständlicherweise in die nächste Phase und andere neue Schreiberlinge dürfen dann die Redigatur erlernen. Ein eigentlich wundervolles Praxisprojekt mit absehbaren Standardschwankungen.  

Das Projekt an sich ist vorzeigewürdig, die Abläufe und die Betreuungsbelastung aller Redigateure vielleicht sogar zu hoch. Oder sind Studierende nichts mehr gewohnt? Es dauerte manchmal Monate, bis irgendeine Emailantwort kommt und dann meistens mit der Entschuldigung, dass ja „viel los sei“ – ganz ehrlich? 

ES WIRD NICHT WENIGER! 

Auch nicht für euch Redaktionsleiter, welche so gerade eben mit der redaktionellen Kommunikation hinterher kommen. Bei Radio, TV, online und Print ist halt viel abzudecken. Da war nicht einmal Zeit für eine kurze Information der Leitung, dass die jahrelange Mitarbeit am Magazin nicht mehr gewünscht wird, weil „die Kapazitäten“ von den eigentlichen Journalistikstudierenden mehr als überlastet sind. Die komplette Kernredaktion scheint schier überfordert zu sein. 

Ob Leitung, Masterstudent, Bachelorstudent oder Hilfskraft: Findet doch bitte innerhalb dieses Praxisprojektes die Organisation, die euch am besten liegt. Die vor allem dem neuen Trend des crossmedialen Journalismus gerecht wird. Diese Organisation und Arbeitsart müsst ihr dann an diejenigen weiter geben, die nach euch kommen. Lasst sie das Rad nicht neu erfinden, sobald ihr in den Olymp der Journalistik aufsteigt. Dämmt das Systemdilemma ein. Das Produkt sollte euch mehr wert sein als eine „nötige Pflichtveranstaltung“, wenn ihr Journalisten seid.